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Das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 11.12.2020 (G 139/2019-71)
berücksichtigend, legt das Bundesministerium für Justiz mit dem Entwurf des
Bundesgesetzes über die Errichtung von Sterbeverfügungen (Sterbeverfügungsgesetz –
StVfG) nun einen rechtlichen Rahmen vor, der sowohl den grundrechtlichen Anforderungen
zur Ausübung der freien Selbstbestimmung am Lebensende, als auch Vorkehrungen und
Regelungen zur Eingrenzung missbräuchlicher Anwendungen von Hilfeleistungen von
Drittpersonen für sterbewillige Personen genügen soll. Mit dem StVfG, basierend auf
verfassungs- und grundrechtlich gewährleisteten Rechten und deren Auslegung im Kontext
gesellschaftlichen Wandels, wird ein bis dato als Straftatbestand geahndeter Akt straffrei
gestellt. Neu ist, dass die Selbsttötung unter Beihilfe von Drittpersonen eine staatlich
anerkannte Form von Sterben wird.
Aus dem Entwurf zum StVfG geht klar hervor, dass eine missbräuchliche Anwendung der
Beihilfe zum Suizid eingegrenzt werden soll. Bei dieser gesellschaftlichen Neuausrichtung des
Sterbens muss davon ausgegangen werden, dass bestimmte Personengruppen, die wegen
schwerwiegender dauerhafter Funktionseinschränkungen und damit verbundenen
Beeinträchtigungen bei der Führung eines selbstbestimmten Lebens auf Hilfe angewiesen
sind, sich immer mehr in eine fatale Entscheidungsnotlage hineingedrängt sehen. Der Druck,
den diese Personengruppe hierdurch erleben kann oder wird, ist nicht von der Hand zu
weisen. Es ist zudem eine Weiterentwicklung von darüberhinausgehenden gesetzlichen
Bestimmungen zu befürchten.
Der Verfassungsgerichtshof betont in seinem Urteil, dass die freie Selbstbestimmung auch
durch vielfältige soziale und ökonomische Umstände beeinflusst wird und der Gesetzgeber
daher dementsprechend Maßnahmen vorzusehen hat, die Missbrauch verhindern. Daher
1 https://www.openpetition.eu/petition/online/offener-brief-beihilfe-zum-suizid-erlaubt-aber-wo-bleibt-die-
beihilfe-zum-leben

sind rechtliche Grundlagen zu schaffen, die die freie Selbstbestimmung ermöglichen:
persönliche Assistenz und andere personelle menschenrechtsbasierte
Unterstützungsangebote, Zugang zu Hilfs- und Heilmitteln unabhängig von sozialem und
sozialversicherungsrechtlichem Status, barrierefreie medizinische Versorgung. Diese
Grundlagen sind komplementär zum Sterbeverfügungsgesetz sicherzustellen.
Es ist somit von höchster Wichtigkeit alle weiteren potenziellen Quellen für Missbrauch im
StVfG explizit zu regeln. In diesem Sinne sind zu bestimmten Themenbereichen
Nachbesserungen erforderlich. Diese stützen sich zum Teil auf Ausführungen des oben
zitierten VfGH Erkenntnisses.

  1. In § 3 (Begriffsbestimmung) wird unter Punkt 3 und 4 von „Unterstützung bzw.
    physischer Unterstützung der sterbewilligen Person bei der Durchführung
    lebensbeendender Maßnahmen“ gesprochen. Hier wäre anstelle von „Durchführung“
    unbedingt der Begriff „Vorbereitung“ zu verwenden. Begründung: Die Formulierung
    „physische Unterstützung bei der Durchführung lebensbeendender Maßnahmen“
    lässt einen Graubereich hin zur physischen Unterstützung bei der Verabreichung des
    letalen Präparates zu. Dieser Graubereich steht im Spannungsfeld zu § 77 StGB. Somit
    sollte im StVG eindeutig festgehalten werden, dass die sterbewillige Person bei der
    Einnahme des letalen Präparates selbständig handelt.
  2. Ad § 7: Beratung zur sozial-ökonomischen Lebenssituation der sterbewilligen Person
    ist im § 7 Aufklärung neu aufzunehmen (vergleiche VfGH (G 139/219-71) Punkt 13
    und 14, Seiten 86-87). Eine Aufklärung und Beratung zur Beihilfe zum Leben, wie
    Hilfsmittelversorgung, Verbesserung der ökonomischen Situation, der
    Wohnsituation, Therapiemöglichkeiten etc., die auf eine Verbesserung der
    Lebenssituation abzielen, fehlt im aktuellen Gesetzesentwurf.
  3. Ad § 8: Die Errichtung der Sterbeverfügung ist im Strafgesetzbuch keine
    Voraussetzung für die Straffreiheit der Beihilfe zum Suizid. Um Straffreiheit zu
    erlangen, würde es demnach genügen, dass die sterbewillige Person mit einer
    ärztlichen Aufklärung, welche zeitlich möglicherweise schon länger zurückliegt, die
    Beihilfe zum Suizid durchführt. Bedenkfrist, klarer Nachweis des Willens,
    fortgeschrittenes Stadium, sowie die Erstellung einer Sterbeverfügung sind nicht
    notwendig und der missbräuchlichen Anwendung der Suizidbeihilfe wären damit Tür
    und Tor geöffnet. Daher ist zu regeln, dass die Beihilfe zum Suizid bei
    Nichteinhaltung der Regelungen des StVfG ein Strafdelikt im StGB darstellt.
  4. Ad § 6, § 8: Dauerhaftigkeit des Entschlusses zur Selbsttötung. In § 6 Abs.3 werden
    zwei Lebenssituationen unterschieden, die der Errichtung einer Sterbeverfügung
    zugrunde liegen müssen:
    (1) eine unheilbare zum Tode führende Krankheit.
    (2) schwere dauerhafte Krankheit mit anhaltenden Symptomen, welche die
    gesamte Lebensführung beeinträchtigen.
    § 8 regelt die Errichtung der Sterbeverfügung aber nur für den Fall einer zum Tode
    führenden Erkrankung, bei der die terminale Phase eingetreten ist. Es gibt keine
    Regelung zur Errichtung einer Sterbeverfügung für den unter § 6 Abs.3 Zif.2
    beschriebenen Lebenssituation. Hier braucht es eine gesetzliche klare Regelung, bei
    der auch die „Dauerhaftigkeit“ des Entschlusses definiert wird. Die in § 8 Abs.1

genannten Fristen von 12 und dann 2 Wochen sind jedenfalls viel zu kurz, um die
Dauerhaftigkeit der Willensbildung festzustellen.

  1. Ad § 11: Das im Gesetz genannte Medikament kann laut Apothekern nicht oral
    eingenommen werden; denn dieses Mittel würde oral eingenommen zu einer
    Vergiftung und möglicherweise zu Erbrechen führen. Wenn es einer Infusion bedarf,
    dann hat die Beihilfehandlung nicht nur unterstützenden Charakter, sondern wäre
    eine Mitwirkung zur Selbsttötung (vergleiche Anmerkung zu Punkt 1 weiter oben).
  2. Ad § 12: Das Werbeverbot und das Verbot, einen wirtschaftlichen Vorteil zu verlangen
    oder anzunehmen, gilt nur für die Beihilfe selbst, nicht aber für die Errichtung der
    Sterbeverfügung oder die Aufklärungsgespräche. Damit wird nicht ausgeschlossen,
    dass entsprechende Werbekampagnen durchgeführt und Geschäfte gemacht werden.
    Das Werbeverbot sollte daher umfassender definiert werden.
  3. Fehlendes Monitoring: Neben dem rechtlich-verfahrensmäßigen Monitoring ist im
    Gesetz auch ein Monitoring zum Ausgangsmotiv der sterbewilligen Person, zur
    Wirkweise der Aufklärungsarbeit auf die Entscheidungsfindung der Person, sowie
    eine Information zu den Lebensbedingungen, angebotenen Alternativen und Reaktion
    vorzusehen. Nur durch diese Motivforschung, im Rahmen einer anonymisierten
    Evaluierung, können wichtige Erkenntnisse zur besseren Suizidprävention gewonnen
    werden.
  4. Fehlende Grundlage im Kontext der „helfenden Dritten“: Im Erkenntnis des VfGH (G
    139/219-71, Seite 82, Punkt 10) ist festgehalten, dass der Gesetzgeber zu
    berücksichtigen hat, „dass der helfende Dritte eine hinreichende Grundlage dafür hat,
    dass der Suizidwillige tatsächlich eine auf freier Selbstbestimmung gegründete
    Entscheidung zur Selbsttötung gefasst hat“. Im vorliegenden Gesetzesentwurf wird
    diese Anforderung nicht hinreichend berücksichtigt. Daher sind Ergänzungen in der
    Form erforderlich, sodass notariell auch festgestellt werden muss, dass die Beihilfe
    zum Suizid – zum Beispiel durch Abholung des Medikamentes bei einer Apotheke –
    nicht durch Erbberechtigte erfolgen darf.
  5. Empfohlen wird, eine Präambel voranzustellen. Aus dieser sollte die Intention des
    Gesetzgebers, der Vorrang für palliativmedizinische Maßnahmen sowie die
    Weiterentwicklung in der Suizidprävention und im Bereich der persönlichen
    Assistenz zum Zwecke der selbstbestimmten Lebensführung hervorgehen.