Hier geht es zum Kommentar im Standard: https://www.derstandard.at/story/2000122394660/der-tod-darf-kein-geschaeftsmodell-sein

Die Kolumne von Philippe Narval über den Suizid seines Großvaters hat mich sehr berührt. Nicht zuletzt auch deshalb, weil ein sehr guter Freund von mir in einer ähnlichen Situation war und Anfang November verstorben ist. Alfred war ein lebensfroher Mensch. Dann kam die Diagnose Krebs. Nach seinem 71. Geburtstag hieß es Krebs im Endstadium. Austherapiert. Er war verzweifelt. Dank Palliativmedizin hatte er kaum Schmerzen. Er lebte zu Hause, wurde von seiner Frau und durch ambulante Krankenpflege versorgt, hatte Kontakt mit Familie und Freunden. In einer Patientenverfügung entschied er, dass er jegliche Therapie zur Lebensverlängerung ablehnte. Eine wichtige Basis, um die Autonomie zu gewähren und den Weg des Abschieds selbst zu bestimmen. Am letzten Tag seines Lebens konnte er noch einen Spaziergang mit seiner Familie machen. Als es ihm am Nachmittag schlechter ging, lehnte er ab, die Rettung zu verständigen. Am Abend ist er friedlich eingeschlafen.

Narval argumentiert, dass bei einem Todkranken, der nicht mehr leiden will, bisher nur die Möglichkeit des aktiven Suizids oder der Verweigerung der Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme besteht. Das stimmt ebenso wenig wie die Aussage der Präsidentin der Schweizer Sterbehilfeorganisation Exit, Marion Schafroth, wonach die Schweizer Auflagen für die Freitodbegleitung sehr hoch seien. Richtig ist, dass die Entwicklung in der Schweiz höchst problematisch ist und die Argumente der Befürworter widerlegen. Seit 1998 verzeichnet die Schweiz einen stetigen Anstieg assistierter Suizide von Personen mit Wohnsitz in der Schweiz. Die Zahlen haben sich in den Jahren 2009 bis 2014 mehr als verdoppelt, bei in etwa gleichbleibender Zahl „normaler“ Suizide. Der Tod ist zum Gescha¨ftsmodell geworden. Das darf in Österreich nicht passieren.

Freie Entscheidung 

Die rechtlichen Rahmenbedingungen in Österreich kennen heute schon einen würdevollen Umgang mit dem Leid sterbenskranker Menschen. Es gibt Therapien, mit denen Schmerzen am Lebensende umfassend sehr gut palliativmedizinisch behandelt werden können.

Wenn es um das Recht auf Leben geht, braucht es Klarheit für die Verhältnisse zwischen Patienten und Ärzten, zwischen Gepflegten und Pflegenden, zwischen jenen in Not und jenen, die diese Not noch nicht erfahren haben. Das Argument, dass hier der Autonomie des Einzelnen der Vorrang vor dem Schutz des Rechtes auf Leben zu gewähren ist, führt durch soziale oder psychische Zwänge, sogenannte rationale Argumente, bis hin zu „Kalkulationen“ von Angehörigen oder der Gesellschaft und letztlich dazu, dass die Entscheidung des Einzelnen keine freie mehr ist. Und durch die Auflösung des Schutzes auf Leben müssen sich jene, die auf externe Hilfe angewiesen sind, immer mehr rechtfertigen, überhaupt noch am Leben bleiben zu wollen.

Notwendige Debatte 

Narval wirft den Medien vor, die Debatte rund um die Legalisierung der Sterbebegleitung zu tabuisieren. Das Gegenteil ist der Fall. Ich habe in den letzten Wochen zahlreiche Kommentare in Zeitungen gelesen, und auch der ORF hat sich etwa in Im Zentrum oder in Kreuz und quer ausführlich mit „Pro und Kontra“ auseinandergesetzt. Weitaus besser als ein populistisches Publikumsvoting über ein Einzelschicksal, das vorgibt, ein Volksentscheid zu sein, wie es ARD und SRG zuletzt nach der Ausstrahlung des Films Gott von Ferdinand von Schirach durchgeführt haben. Wohlgemerkt ging es hier um einen lebensmüden Menschen, ohne Schmerzen, der aktive Sterbehilfe in Anspruch nehmen will. Freilich muss die Debatte weitergeführt werden. Warum nicht als Schwerpunkt beim Forum Alpbach?

Wir müssen über ein Lebensende in Würde reden! Aber nicht darüber, wie wir am besten töten sollen, sondern wie wir Menschen, die die Perspektive im Leben verloren haben, unter Schmerzen leiden oder vereinsamt sind, helfend zur Seite stehen können. Denn auch eine Tötung durch einen Arzt bleibt eine Tötung. Die Aufgabe des Arztes muss es aber sein, Leben zu erhalten, Leben zu retten und ein Leben bis zuletzt ohne Schmerzen zu gewährleisten. Bekämpft die Einsamkeit, den Schmerz und die Not der Sterbenden, aber tötet sie nicht! (Franz Joseph Huainigg, 11.12.2020) „