Aber wo bleibt die Beihilfe zum Leben?

Ein offener Brief von behinderten und nicht behinderten Menschen über ihre Sorgen zur Öffnung der Beihilfe zum Suizid auch als Antwort auf eine fragwürdige Umfrage des Vereins Letzte Hilfe. 

Im Juni d. J. ergab eine wissenschaftlich fundierte FOCUS Studie, dass eine überwiegende Mehrheit der Bevölkerung die Beihilfe zum Suizid ablehnt. Nur 35% sind für die Eröffnung der Möglichkeit der Beihilfe zum Suizid in Österreich. Die bisherige Praxis der Schmerztherapie durch Palliativmedizin wird von 58% befürwortet, während eine Aufhebung der Beihilfe zum Suizid als sehr kritisch gesehen wird. 

Umso überraschender sind die Ergebnisse einer Umfrage, die jetzt vom Verein „Letzte Hilfe“ präsentiert werden. Die Mehrheit der Bevölkerung würde Sterbehilfe in Österreich befürworten. Sieht man sich die Umfrage und deren Fragestellungen genauer an, wird sofort klar, wie diese Ergebnisse zustande gekommen sind. Wenn etwa gefragt wird, wer ein Recht auf assistierten Suizid haben soll, und als Antwortmöglichkeiten mit dem Begriff „Hilfesuchende“ immer suggeriert wird, dass Sterbehilfe, die einzige Hilfestellung für Hilfesuchende ist, ist nachvollziehbar, dass die Mehrheit hier zustimmt. Ausgeschlossen werden alle anderen Möglichkeiten der Hilfeleistung, die die Palliativmedizin oder Hospiz bietet. Eine weitere Frage lautet ob in besonderen Fällen, wie z.B. bei kompletter Lähmung des Hilfesuchenden, und unter strengen Auflagen auch aktive Sterbehilfe (Tötung auf Verlangen) erlaubt sein soll. Viele nicht behinderte Menschen haben Angst vor einer Lähmung und können sich ein Leben damit nicht vorstellen. Daher ist die Antwort für „Ja“ mit 62% nicht verwunderlich. Wer aber gerade zuletzt die Paralympics verfolgt hat weiß um die Möglichkeiten, die auch Menschen im Rollstuhl offenstehen. Auch meine Beine und Arme sind gelähmt, ich lebe mit einer künstlichen Beatmung. Durch Persönliche Assistenz ist ein Selbstbestimmtes Leben möglich. Ist Hilfe für Menschen mit Lähmung gefragt, geht es nicht um töten auf Verlangen, sondern in erster Linie um den Ausbau und die Ermöglichung eines selbstbestimmten Lebens. 

Gerade dieses Bild, das der Verein „Letzte Hilfe“ von Menschen mit Behinderungen mit seinen Fragestellungen suggeriert – das sie hilfsbedürftig sind und teilweise von ihrem leidenden Leben erlöst werden sollen – ist das, was nicht behinderte und behinderte Menschen besorgt. 

In einem offenen Brief wenden sich Persönlichkeiten wie Carla Amina Baghajati Ma, 

Prof. Dr. Ernst Berger, Mag. Dorothea Brozek, Mag. Bernadette Feuerstein, Oswald Föllerer, Theresia Haidlmayr, Dr. Franz-Joseph Huainigg, Waltraud Klasnic, Dr. Arnold Mettnitzer, Mag. Marlies
Neumüller, Prof. Dr. iur. Rotraud A. Perner, B / MTh (evang), Prof. Dr. Elisabeth Pittermann, Elisabeth Pohl, Prof. Dr. Regina Polak, Dr. Michael Preitschopf, Dr. Michael Prüller, Jasna Puskaric, Elisabeth Rathgeb, Kardinal Christoph Schönborn, Prof. Dr. Thomas Szekeres, Prof. Dr. Germain Weber, Prof. DDr. Paul Michael Zulehner an die Bundesregierung und an das Parlament. Sie sehen in der Straffreistellung des assistierten Suizides eine bedenkliche gesellschaftliche Entwicklung, da sie Menschen mit Behinderungen unter Druck setzen wird,
sich für ihr „am Leben bleiben wollen“ rechtfertigen zu müssen.

Sie fordern, dass eine gesetzliche Bestimmung vorgelegt und verabschiedet wird, die diese angeführten Sorgen berücksichtigt. Dabei sind sie der Überzeugung, dass das Recht
auf einen würdevollen Tod schon heute gut umsetzbar ist, wenn den Menschen ausreichend PalliativmedizinerInnen oder entsprechend ausgebildete Allgemeinmedizinerinnen und Hospizpersonal zur Seite stehen. Vor allem aber soll ein Recht auf ein selbstbestimmtes Leben durch persönliche Assistenz ermöglicht werden. Damit unterstützen sie auch die Forderungen der zuletzt veröffentlichten Stellungnahme des österreichischen Behindertenrates. 

Der offene Brief kann online gelesen und als Petition unter diesem Link unterzeichnet werden: 

https://www.openpetition.eu/petition/online/offener-brief-beihilfe-zum-suizid-erlaubt-aber-wo-bleibt-die-beihilfe-zum-leben

Franz Joseph Huainigg