Dr. Franz-Joseph Huainigg

Wenn ich mich selbst im Radio höre, erschrecke ich immer wieder. Puh, so behindert! Ich höre jemanden, der in kurzen, abgehackten Sätzen spricht. Diesen Rhythmus gibt mein Beatmungsgerät vor. Da verstehe ich auch Menschen, die zu mir sagen: „So ein Leben an Schläuchen, völlig abhängig von Maschinen und Menschen, könnte ich nicht führen“. Aber glauben sie mir: Meine Innensicht ist anders. Ich lebe ein selbstbestimmtes und zufriedenes Leben durch die Unterstützung Persönlicher Assistent*innen, habe eine Familie und einen herausfordernden Job. Mein Beatmungsgerät nehme ich im Alltag oft gar nicht mehr wahr. 

Ich gestehe, vor 20 Jahren hätte ich mir so ein Leben schwer vorstellen können. Doch dann kam eine große Gesundheitskrise. Ich bekam durch die aufsteigende Lähmung kaum Luft, war durch die Schluckbeschwerden abgemagert und konnte, so schwach wie ich war, kaum noch sprechen. Die Ärzte fragten: „Wollen Sie überhaupt noch leben?“ Ich wollte! Ich habe in einer Patientenverfügung festgelegt, dass ich weiterleben möchte und dass alle medizinischen Möglichkeiten dafür genutzt werden sollten.  Alle diese medizinischen Eingriffe hätte ich auch ablehnen können und man hatte mir ein Sterben ohne Erstickungsängste und Schmerzen zugesagt. Heute weiß ich, dass meine damalige Entscheidung goldrichtig war. Der Mensch ist anpassungsfähiger als man denkt. Ich verstehe aber auch jeden und jede, die in dieser großen Unsicherheit anders entschieden hätte.

Kurz darauf – ich war wieder Zuhause und lernte mit einer Logopädin mit dem Beatmungsgerät essen und sprechen – hörte ich in den Medien von einem Polen namens Janusz Świtaj, der beatmet ist und für ein Euthanasiegesetz in Polen kämpft. Er möchte nicht mehr leben und fordert, dass sein Beatmungsgerät abgeschaltet wird. Das berührte mich zutiefst. Ich schrieb ihm eine Mail: „Was muss passieren, damit du wieder leben möchtest?“ Er antwortete tatsächlich: „Ich liege seit 10 Jahren Zuhause im Bett und werde von meinen Eltern gepflegt. Den ganzen Tag starre ich die Decke an. Ich habe drei Wünsche: Ein mobiles Beatmungsgerät und einen Elektrorollstuhl, damit ich aus dem Bett komme, eine Persönliche Assistenz, damit ich selbstbestimmt leben kann und einen Job, damit ich eine Aufgabe habe.“ Drei Jahre später erfuhr ich, dass sich all seine Wünsche erfüllt haben. Eine polnische Schauspielerin und Stiftungsgründerin nahm sich seiner an. Dadurch konnte er zu studieren beginnen und bei der Stiftung als Berater für Menschen in Lebenskrisen zu arbeiten. Damit verhalf er anderen zu Lebensperspektiven, die er selbst wieder gefunden hatte. 

Der Sterbewunsch hängt meistens mit Perspektivlosigkeit, Schmerzen und Einsamkeit zusammen und muss daher als Hilferuf für eine Verbesserung der Lebenssituation verstanden werden, auf den wir anders reagieren müssen: mit Zuneigung, Trost und Nächstenliebe sowie mit Palliativmedizin und Hospiz. Prof. Watzke, Leiter der Palliativmedizin im Wiener AKH, versichert auch, dass durch die Palliativmedizin heute niemand mehr mit Schmerzen sterben muss. Es geht um ein Leben bis zuletzt in Würde. Nicht alles, was andere Länder praktizieren, muss in Österreich nachgeahmt werden. Gehen wir nicht in die Falle einer falsch verstandenen Liberalität. Aus dem Recht auf selbstbestimmtes Sterben wird für manche Menschen schnell die vermeintliche Pflicht, anderen nicht zur Last zu fallen. Und ich will mich nicht dafür rechtfertigen müssen, dass ich leben will, Kosten verursache und anderen vielleicht zur Last falle. Bekämpft die Einsamkeit, den Schmerz und die Not der lebensmüden oder sterbenden Menschen, aber tötet sie nicht. Das ist mein Apell.