„Referat anlässlich des Symposiums „Erzwungener Freitod“

8.November 2021

Misrachi-Haus  Wien

Am 27.April 1945 wurde der Wiener Psychiater und Neurologe Viktor Frankl mit der Häftlings Nummer 119 104 aus dem Konzentrationslager Kaufering VI/Türkheim, einem Aussenlager des KZ Dachau von texanischen Truppen befreit.

Er hatte zuvor die Konzentrationslager Theresienstadt,Auschwitz und Kaufering III überlebt.

Nach und nach musste er erfahren, dass sein 82 jähriger Vater in Theresienstadt an Erschöpfung gestorben war, seine Mutter und sein Bruder in den Gaskammern von Auschwitz ermordet wurden, seine junge Frau Tilly in Bergen-Belsen den Hungertod erlitten hat und das Schicksal seiner Schwester, der als einzige die Flucht gelang zu diesem Zeitpunkt höchst ungewiss war.                             

Vollkommen entkräftet und der Gewissheit, dass niemand mehr auf ihn warten würde befiel im der Gedanke am Ufer der Isar stehend, selbst aus dem Leben zu scheiden.

Er, der in der Suizidprävention eine seiner vornehmlichsten ärztlichen Aufgaben sah, musste sich nun selbst mit den Alternativen konfrontieren:

Zitat: Entweder man nimmt einen Strick und hängt sich auf.

Oder aber es gibt irgendwelche Resourcen, die einen davon abhalten, und zwar der bedingungslose Glaube an einen letzten Sinn, der uns zwar verborgen sein mag, aber er ist da!

Frankl wählte den 2. Weg der ihm den Mut gab, weiterzuleben. 

Dieses Aufdecken und Bewusstmachen des verborgenen Sinns im Leben jedes Menschen, das ihm ein Leben in Selbstgestaltung und Eigenverantwortlichkeit ermöglicht, stellt die Grundlage seiner von ihm entwickelten Existenzanalyse und Logotherapie dar.

Die Sinnfindung in jedem Menschenleben war es, die die entscheidende Basis seines Suizidpräventionsprogramms darstellte.

1928 arbeitet er ehrenamtlich in Jugendberatungsstellen,um jungen Menschen in Krisensituationen zu helfen.

So organisierte er 1930 zur Zeit der Zeugnisverteilung eine Aktion unter dem Motto „Es ist nie zu spät“ um zu verhindern, dass Schüler mit schlechten Zeugnisnoten ihr junges Leben wegwarfen.

Von 1933-1937 leitete er als Oberarzt im Psychiatrischen Krankenhaus „Am Steinhof“ den „Selbstmörderinnenpavillon“ und betreute jährlich bis zu 3000 suizidgefährdete Frauen.

Aus seinen wissenschaftlichen Erkenntnissen geht hervor, dass neben den Hauptauslöser Depression eine vermeintliche Sicht von Sinnlosigkeit und Aussichtslosigkeit ausschlaggebend sind.

Für Frankl existiert der Zustand von Aussichtslosigkeit allerdings nicht:

Da der Mensch seine unmittelbare Zukunft nicht voraussehen kann, kann er nicht wissen was u.U.in den nächsten Minuten von ihm abverlangt, gefordert oder geleistet werden muss. Aufgaben zu erfüllen ,die nur er im Stande ist zu erfüllen.

Ein Mensch, der sich der Verantwortung gegenüber einem wartenden Werk oder einem auf ihn wartenden liebenden Mensch bewusst ist, wird nie imstande sein, sein Leben hinzuwerfen.

Das Leben stellt die Fragen, und der Mensch ist aufgefordert, darauf seine Antwort zu geben – so Frankl.

Diese elementaren Erkenntnisse sollten dann auf seines persönlichen Leidensweg in den Konzentrationslagern auf die härteste Probe gestellt werden.

Die erste Probe stellte die Ankunft in den Lagern dar, als es immer gewisser wurde, dass die Deportierten nicht, wie versprochen wurde, in Ghettos mit halbwegs annehmbaren Lebensbedingungen ankamen, sondern in ein Vernichtungslager gebracht wurden.

In dieser ersten Schockphase wählten nicht wenige den Freitod.

Frankl selbst sah bei seiner Ankunft in Auschwitz seine Überlebenschancen als äußert gering ,dennoch hat sich jedoch selbst das Versprechen abgerungen nicht „in den Draht zu laufen „um auf diese Weise aus dem Leben zu scheiden.

Sein Argument dagegen: Verantwortung zu tragen gegenüber dem,was auf ihm warte -eine Aufgabe oder seine Angehörigen. Diese Einstellung hat er als Arzt und Psychologe seinen zahllosen Leidensgefährten weiterzugeben versucht.

In Theresienstadt bildete er mit Gleichgesinnten eine Gruppe, die verzweifelten Neuankömmlingen zur Seite standen und konnte damit erreichen, dass die Suizidrate drastisch sank.

Er betrachtete es aber auch als ärztliche Seelsorge, wie er es nannte, in den Hungerbunkernvon Dachau, wo durch die grausamen Verhältnisse viele seiner Gefährten durch Krankheit oder Selbsttötung starben, durch seinen Zuspruch wieder Mut und Funken von Lebenswillen zum Weiterleben zu verhelfen. Sein Aufruf: Auf jeden sehe in diesen schweren Stunden jemand mit fordernden Blick herab, ein Freund oder eine Frau, ein Lebender oder ein Toter – oder ein Gott. Und er erwartet vom ihm, ihn nicht zu enttäuschen, sondern dass er stolz und würdig durch das Leiden gehe.

Frankl selbst musste in bestimmten Situationen Strategien entwickeln, um sich selbst nicht in den erlösenden Tod fallen zu lassen.

An einer schweren Typhusinfektion erkrankt wusste er, wenn er in seinem Fieberdelir in den Schlaf verfalle, er nie wieder erwachen würde. Und so hielt er sich gewaltsam wach, indem er mit einem Bleistiftstummel und einen Fetzen Papier sein Manuskript der „Ärztlichen Seelsorge“ rekonstruierte, dass er eingenäht in seinem Mantel in Theresienstadt wegwerfen musste.

In einem Schneesturm, völlig unzureichend gekleidet, dem Erfrierungstod nahe,stellte er sich innerlich vor Augen, als Zeuge für all diese Erlebnisse und Torturen in einem hellen, geheizten Hörsaal vor einem Publikum aufzutreten.

Beides ließ ihn überleben, da er darin seine Aufgaben sah. Und so notierte er aufgrund seiner Erfahrungen:

„Es gibt nichts auf der Welt, was einen Menschen befähigte, äußere  Schwierigkeiten und innere Beschwerden zu überwinden, als das Bewusstsein,eine Aufgabe im Leben zu haben!“

Welches Vermächtnis und welche Botschaft hinterlässt uns Viktor Frankl:

Der Suizid ist ein NEIN auf die Sinnfrage!

Sinnfindung und Sinnerfüllung machen den Menschen krisenfest, aber auch leidensfähig und dadurch lebensbejahend.

Jeder Mensch hat in seiner Einzigartigkeit eine Aufgabe im Leben zu erfüllen, die einzig und allein er im Stande ist, zu erfüllen.

Frankl zeigt 3 Werte auf,die zu einer Sinnerfüllung führen:

  • schöpferische Werte: Alles was der Mensch geleistet und verwirklicht hat, ist unzerstörbar in der Vergangenheit aufbewahrt. Sein Blick soll auf den vollen Scheunen seiner Werke und nicht das leere Stoppelfeld der Vergänglichkeit ruhen.
  •  Erlebniswerte: Das bewusste Erleben von Kunst und Natur, das Erleben von Geliebtwerden und Liebe zu geben.
  •  Einstellungswerte (der höchste Wert, die letzte Freiheit bei absoluter Bedrängtheit und Ohnmacht )

Frankl ,entwürdigt in der Kälte auf dem Appellplatz im Zwiegespräch:

„Es gibt etwas, was ihr mir nicht nehmen könnt: Meine Freiheit zu wählen, wie ich auf das, was ihr mir antut, reagiere.“

Und man konnte reagieren, so oder so:

           Es gab Heilige aber auch Skrupellose unter den Häftlingen.

           (Frankl: Es waren nicht immer die Besten, die zurückkamen.)

Es gab Anflüge von Barmherzigkeit (Minorität) aber auch grenzenlosen Sadismus (Majorität) unter den Wächtern der SS.

Es gab Menschen die  mit dem Kaddisch oder dem Vater Unser auf den Lippen aufrecht in die Gaskammern schritten.

Es gab Menschen, die die Gaskammern erfanden.

Gibt es einen Sinn im Leid? Frankl bejaht diese Frage. Denn: Leid kann den Menschen hellsichtig und die Welt durchsichtig machen.

Im Leid eröffnet sich oft die Erkenntnis,worauf es im Leben tatsächlich ankommt.

Und – erst Ruinen eröffnen den Blick zum Himmel.

So wie Frankl als Arzt im Konzentrationslager zu einer jungen, sterbenden Patientin gerufen wird, um ihr beizustehen                                                                Er findet sie gelöst, fast heitervor.(Ein beginnendes Delier?). Sie gesteht in ihrem früheren Leben wohlhabend und vom Leben verwöhnt gewesen zu sein, ihr Denken egoistisch und diesseitig orientiert.

Jetzt reduziert sich ihr flackerndes Leben auf ein Zwiegespräch mit einem blühenden Kastanienbaum, den sie durch das Barackenfenster wahrnehmen konnte. Auf Frankls Frage welche Botschaft ihr dieser Baum vermittle, antwortet sie:

„Ich bin da. Ich bin das Leben – ich bin das ewige Leben……..

Sie starb mit sich ausgesöhnt.

So hört das Leben buchstäblich bis zu seinem letzten Augenblick, bis zum letzten Atemzug nicht auf, Sinn zu haben.

Am 11.Dezember 2020 hat der österreichische Verfassungsgerichtshof die geltende Rechtslage im Blick auf den assistierten Suizid für verfassungswidrig erklärt.

Erwartungsgemäß ergeben sich geteilte Reaktionen.

-für die einen eine ersehnte Möglichkeit selbstbestimmt aus dem Leben zu scheiden

– während andere eine Gefahr einer missbräuchlichen Entwicklung sehen.

Der Wert oder Unwert des Lebens in der heutigen Gesellschaft droht zur Disposition zu stehen.

Der Begriff der Euthanasie irrlichtert durch den Raum.

Dem steht der Aufruf Viktor Frankls gegenüber: zu welcher auch immer auferlegten Aufgaben und Prüfung ein TROTZDEM zu sagen,

ein TROTZDEM  JA ZUM LEBEN ZU SAGEN !