https://www.derstandard.at/story/2000130748696/was-im-sterbeverfuegungsgesetz-fehlt

„Was im Sterbeverfügungsgesetz fehlt

Aufklärung muss nicht nur den medizinischen Aspekt, sondern auch die soziale Abklärung der Möglichkeiten für ein selbstbestimmtes Leben umfassen. Denn klar ist, der Gesetzesentwurf ist ein Dammbruch

28. Oktober 2021, 08:00

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Der frühere ÖVP-Nationalratsabgeordnete Franz-Joseph Huainigg hält die Regelungen im geplanten Gesetz für nicht ausreichend. Warum, erläutert er im Gastkommentar.

Die Regierung regelt die Sterbehilfe neu und will die Hospiz- und Palliativversorgung ausbauen. Die Begutachtungsfrist für den Entwurf endet am 12. November.

Die Sterbehilfebefürworter feiern den vorgelegten Entwurf des Sterbeverfügungsgesetzes als Etappensieg. Damit ist klar, dass sie durch weitere Klagen auch die Tötung auf Verlangen erreichen wollen. Der „slippery slope“, der in den Beneluxländern von der Ausnahme zum Regelfall wurde und vor allem ärmere Bevölkerungsgruppen, aber auch Minderjährige und Demenzerkrankte einschließt, hat jetzt auch in Österreich begonnen. Über diesen „Dammbruch“ macht sich bei vielen Menschen mit Behinderungen große Enttäuschung und die Angst vor einem gesellschaftlichen Druck breit.https://6625b379b3f940eda990bae0384fbf1e.safeframe.googlesyndication.com/safeframe/1-0-38/html/container.html

Soziale Umstände 

Jeder Mensch ist auf die Solidarität anderer Menschen sowie der Gesellschaft angewiesen. Viele vergessen das und übersehen, welcher enorme Druck auf jene aufgebaut wird, die umfangreich auf Unterstützung angewiesen sind, wenn man doch das Leben und damit den Hilfebedarf einfacher und gesetzlich gedeckt beenden kann. Anderen nicht mehr zur Last fallen zu wollen wird von Menschen in den Beneluxländern, wo assistierter Suizid bereits erlaubt ist, als Hauptmotiv genannt, das Leben vorzeitig zu beenden.

Der Entscheid des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) vom 11.12.2020 hat dem Gesetzgeber – inmitten der Pandemie – nur ein Jahr Zeit gegeben, für diese sensible Materie eine gesetzliche Regelung zu schaffen. Der Entwurf der Regierung spiegelt das ernsthafte Bemühen wider, die Beihilfe zum Suizid kontrolliert für Ausnahmefälle zu regeln. Sehr zu begrüßen ist, dass gleichzeitig der Ausbau von Hospiz- und Palliativmedizin umgesetzt wird, wie ihn ein Allparteienbeschluss im Rahmen einer Enquetekommission 2015 empfohlen hat. Allerdings sieht der Entwurf des Sterbeverfügungsgesetzes nicht ausreichende Regelungen vor, um die geforderte freie und dauerhafte Willensbildung sowie die Selbstbestimmung sicherzustellen. Zudem enthält der Entwurf unbestimmte Gesetzesbestimmungen wie „schwere und dauerhafte Erkrankung“. Zählt beispielsweise jemand mit Zuckerkrankheit, der sich täglich mehrmals Insulin spritzen muss, oder jemand mit einer chronischen Nieren- oder Herzerkrankung dazu?

„Ein Rechtsanspruch auf Hospiz- und Palliativversorgung wäre zentral. Überall in Österreich, auch im hintersten Tal.“ Diakonie-Direktorin Maria Katharina Moser forderte in der ORF-„Pressestunde“ am Sonntag Ergänzungen.

Vor zehn Jahren, als ich selbst beatmet worden bin, hörte ich in den Medien von einem Polen namens Janusz, der beatmet ist und für ein Euthanasiegesetz in Polen kämpft. Er wollte nicht mehr leben und forderte, dass sein Beatmungsgerät abgeschaltet wird. Das berührte mich zutiefst. Ich schrieb ihm eine Mail: „Was muss passieren, damit du wieder leben möchtest?“ Er antwortete tatsächlich: „Ich liege seit zehn Jahren zu Hause im Bett und werde von meinen Eltern gepflegt. Den ganzen Tag starre ich die Decke an. Ich habe drei Wünsche: ein mobiles Beatmungsgerät und einen Elektrorollstuhl, damit ich aus dem Bett komme, eine persönliche Assistenz, damit ich selbstbestimmt leben kann, und einen Job, damit ich eine Aufgabe habe.“ Drei Jahre später erfuhr ich, dass sich all seine Wünsche erfüllt haben. Er konnte zu studieren beginnen, als Berater für Menschen in Lebenskrisen arbeiten und verhalf damit anderen zu Lebensperspektiven, die er selbst wieder gefunden hatte.“